SPASS AM ARBEITEN – AUCH OHNE BESPASSUNG
Veröffentlicht: 23. Mai 2012
„Jedem Tierchen sein Plaisierchen.“ Dieses hübsche, alte Sprichwort beschreibt unser Recht auf Individualität so wohlwollend wie treffend. Projiziert auf den Büro-Arbeitsplatz bedeutet das: Die Zeiten, in denen wir uns wie Stallhasen Seite an Seite in große Arbeitssäle drängen mussten, sind für die meisten vorbei. Mehr denn je haben Mitarbeiter ganz genaue Vorstellungen von der Beschaffenheit ihres Arbeitsplatzes – und genau an diesem Punkt gehen die Geschmäcker himmelweit auseinander. Zwischen den Fronten steht der Architekt. Aber kann der überhaupt etwas ausrichten?
Das fängt schon bei der persönlichen Ausschmückung des Schreibtisches an. Denn wo der eine das Bild der Liebsten, das Pflänzchen und die Keksdose durchdacht arrangiert, sucht der andere sterile Ordnung oder aber bevorzugt das kreative Durcheinander. Ganz abgesehen von diesen partiell optischen Problemen kennt jeder die leidigen Diskussionen um: Fenster auf, Fenster zu. Licht an, Licht aus. Heizung an, Heizung aus. Und so weiter und so fort.
Sicher, am einfachsten wäre es da, allen Mitarbeitern ein einheitliches Arbeitsplatz-Layout vorzusetzen. Wie damals, der Hasenstall – Sie wissen schon. Doch bei diesen Aussichten schrecken nicht nur Arbeitspsychologen seit Jahrzehnten auf. Unter solch miesen Umständen könnte die Produktivität der Angestellten leiden. Der Arbeitnehmer würde fortan nur noch Dienst nach Vorschrift machen. Mehr nicht. Und das, mit Verlaub, wollen die wenigsten Arbeitgeber riskieren. Was also tun?
Ganze Architektengenerationen machten sich um das Thema der richtigen Arbeitsplatzgestaltung Gedanken. Da scheint es nichts mehr zu geben, was nicht längst gedacht, nichts was nicht bereits ausprobiert worden wäre. Großzügige und helle Büroebenen, Lounge-Workspaces, Businessclubs und Desk-sharing-Arbeitsplätze, Dschungel-Feeling und Spielwiesen für die Kreativen. Eine stimulierende Umgebung, sogar Raum für Erholung, vor allem aber Motivation am Arbeitsplatz. Vom Bürostall jedenfalls sind wir heute meilenweit entfernt. Der Arbeitsplatz der Zukunft ist ein Ort, an dem man sich wohlfühlt und produktiv sein kann und soll. Ja, um den Mitarbeiter so lange wie möglich an seinem Platz zu halten, ist heute vieles möglich und machbar.
Und doch weiß man als Betrachter nicht ganz, was davon zu halten ist: Muss der Arbeitende wirklich permanent bespaßt werden, damit er gerne wirkt und bleibt? Sind es wirklich diese äußeren Reize der Rauminszenierung, die aus dem normalen Kollegen einen höchst produktiven machen?
Längst nicht bei jedem Arbeitgeber findet sich dieses Bunt an Arbeitsplatzatmosphäre. Nach wie vor arbeiten viele – auch Angestellte in Architekturbüros – in großen Räumen an langen Tischen zusammen mit 30, 40 oder mehr Kollegen. Da bekommt jeder zwei Meter Tisch, einen
Computer und einen Rollcontainer. Privatsphäre nicht inbegriffen. Alle hören mit, wenn mal ein privates Telefongespräch hereinschneit. Doch anscheinend funktioniert das manchmal. Vielleicht fördert es sogar die Kommunikation und den Teamgeist? Hühnerstange also statt Hasenstall? Nun ja.
Neben all der Diskussionen um das Design der Arbeitsplätze frage ich mich: Richtig ist das, ja, aber ist der ganze Zinnober um die richtige Arbeitsplatzatmosphäre wirklich derart relevant? Ist es nicht viel wichtiger, die richtigen Aufgaben zu bekommen und außerdem ein angenehmes menschliches Umfeld zu haben? Zuerst einmal geht es doch um die Arbeit selbst, um das, was man den ganzen langen Tag über tut. Erfüllt sie, identifiziert man sich mit ihr und dem Arbeitgeber?
Hier sind die Führungspersonen gefragt! Sie sind es, die die Inhalte der Arbeit bestimmen und die Teams zusammenstellen. Es geht schlicht und einfach um die Führungskompetenz! Wenn eben diese fehlt, kann das Drumherum noch so beflügeln, und bleibt doch ohne Wirkung. Ist das Arbeiten freudlos, weil von oben Freudlosigkeit gelebt wird, fängt der Mitarbeiter an, sich wenigstens seinen Arbeitsplatz so nett und persönlich wie möglich zu gestalten und diesen auch äußerst pünktlich wieder zu verlassen. Da wären wir dann wieder bei der Gestaltung des Arbeitsumfeldes.
Das wunderbare ist doch gerade, dass der Mensch ein Individuum ist – und zwar eines mit Bedürfnissen, Wünschen und Hoffnungen. Nur wer diese zu erkennen und erfüllen vermag, kann sich der Zufriedenheit und Loyalität seiner Mitarbeiter wirklich sicher sein.
24. Mai 2012 12:42
hallo herr raumjournalist,
…da fällt mir doch glatt der vortrag von fr. dr. uta brandes in konstanz dazu ein.
sie hat jede menge schreibtische weltweit fotografiert und ausgewertet….
http://www.htwg-konstanz.de/Uta-Brandes.5722.0.html
herzliche grüße aus der hitze vor den toren stuttgarts!
heike
24. Mai 2012 13:20
Hallo Heike,
hast Du den Vortrag gesehen bzw. gibt es den Vortrag irgendwo im Internet zu sehen?
Klingt ja wirklich spannend, was sie da erarbeitet hat!
Beste Grüße 🙂
24. Mai 2012 13:46
… wie Stallhasen Seite an Seite in grosse Arbeitssäle drängen …]
Beobachtet man die Arbeitsszene und will man den Auguren glauben, geht der Trend zum Coworking. In diesem für Freischaffende wie für Unternehmen geeigneten Format, kann es buchstäblich „locker vom Hocker“, aber auch stallhasengleich zugehen.
Schon einmal die englischen „work benches“ gesehen, mit acht bis zwölf Mann in einer Reihe und auf jeder Seite? Deutsche Büromöbelanbieter bieten derartige Lösungen gerne als „kommunikationsfördernd“ an …
Absolut sehenswert sind die Fotostrecken auf
http://www.wheretheycreate.com – die machen Lust auf Aktion, Umbauen, Umgestalten.
Räumliche Grüsse
Joachim Zischke
24. Mai 2012 19:44
Oh ja, ich hab schon einige Büros auch von innen gesehen. Die „Work benches“ scheinen recht beliebt zu sein, vor allem in der kreativen Branche. Einziger Unterschied zu damals ist, dass die Mitarbeiter nicht verteilt im Raum an einzelnen Tischen mit Blick nach vorne, sondern gemeinsam in zwei Reihen an einem großen Tisch sitzen – wie an einer Tafel zum Arbeiten. Ist das deswegen anders?
Ich denke: Es kann tatsächlich anders sein. Aber nur, wenn es auch inhaltlich stimmt. Und da sind wir wieder beim Thema „Mensch“. Der Mensch erfreut sich an dem richtigen Raum-Design, aber ohne Inhalt nutzt das beste Design nichts.
Ebenfalls räumliche Grüße 🙂