ERLEBBARE GRENZEN DES RAUMS: TÜR UND SCHWELLE
Veröffentlicht: 05. Februar 2013
Die Grenzen des Raums werden in der Architektur mittels Boden, Decke und Wand gezogen. Fester Bestandteil dieser raumbegrenzenden und -erzeugenden Elemente sind Öffnungen, die diese Grenzen durchbrechen und diese dadurch unmittelbar erfahrbar machen. Am deutlichsten wird dies durch die Tür, bei der die Grenze vom Menschen begehbar ist.
Türen sind Mauerlöcher zum Ein- und Ausgehen. Man kann sie selbst aktiv benutzen, indem man sich mit dem ganzen Körper zwischen ihre Leibungen begibt und sie dadurch erfahrbar werden lässt. Die Tür hat den grundsätzlichen Charakter, sich zu beiden Seiten öffnen und schließen zu können. Sie richtet sich also sowohl an das Innen als auch an das Außen. Dabei wird der Doppelcharakter der Tür klar: Das ewige Spiel von öffnen und schließen, von verbinden und trennen.
Dieser Doppelcharakter der Tür äußert sich als eine Art Halbdurchlässigkeit, deren Aufgabe es ist, das Drinnen und Draußen, sprich: das Davor und das Dahinter mal zu verbinden und mal zu trennen. Die Tür als Mauerloch zum Ein- und Ausgehen fungiert also wie eine Art Filter, durch den genau an dieser Stelle entschieden wird, ob der jeweilige Ankömmling durch die Tür frei ein- und ausgehen darf oder nicht: So kann der ins Haus Gehörende die Tür frei passieren, der Fremde ist ausgeschlossen und muss gesondert (vom Bewohner) hineingelassen werden. Dies trifft vor allem für Außen- wie entsprechend auch für Innentüren zu. Hilfsmittel als Entscheidungsinstrumente sind der Riegel oder das Türschloss, die nur vom Schlüsselinhaber betätigt werden können.
Es steht dem Menschen aber auch frei, sich in sein Haus einzuschließen, was jedoch nicht bedeutet, dass er eingeschlossen ist. Als Eigentümer kann er selbst über die Verwendung der Tür entscheiden. Die Filterung durch die Tür findet dabei sowohl auf der physischen wie auch auf der psychischen Ebene statt: „Man geht aus, um die Welt zu erfahren und verliert sich darinnen; und man kehrt heim, um sich wiederzufinden und verliert dabei die Welt, die man eben noch erobern wollte.“ (Hegel in Flusser)
Die Freiheit, die dem Menschen dabei widerfährt, ist natürlich die Voraussetzung. Denn wenn er umgekehrt nicht mehr über die Verwendung der Tür bestimmen kann, würde ihm eben diese Freiheit genommen – was dann dem Prinzip des Gefängnisses entspräche. Es ist aber so, dass der Mensch sich gerne selbst seine Grenzen setzen möchte, dies aber mit Freiheit. Dieses „Sich-Grenzen-Setzen“ bedeutet für ihn vor allem innere Unabhängigkeit. Das Schließen der Tür bewahrt also seine Freiheit. Es macht die Freiheit direkt erfahrbar.
Es ist außerdem wichtig zu erkennen, dass man beim Begehen der Tür diese nicht nur durchschreitet. Man ÜBERschreitet gleichzeitig nämlich auch die (Tür-)Schwelle. Die Schwelle ist unter all den raumdefinierenden Elementen dasjenige mit der schwächsten begrenzenden Wirkung. Dennoch (oder gerade deswegen?) fällt ihr eine große kultische Bedeutung zu. So verneigt man sich in manchen Völkern auf bzw. vor ihr (oder wird zu dieser Bewegung mehr oder minder gezwungen durch einen niedrigen Türsturz) oder man (Mann) trägt die Braut über die Schwelle. Die Schwelle wird somit zur Begrenzung, die Bereiche beziehungsweise Zonen einteilt oder gegeneinander abtrennt. Selbst wenn sie nicht in die Laibungen einer Tür eingebunden ist und man sie ungehindert überschreiten könnte, verweist sie dennoch klar auf eine Grenze zwischen einem Davor und einem Dahinter. Die Schwelle wird dabei selbst zu einem DaZwischen. Auch muss die Schwelle nicht unbedingt nur eine schmale Linie sein. Als Podest beispielsweise ist sie in der Sakralarchitektur der Bereich des Lithurgischen, der zwischen dem Weltlichen und dem Göttlichen steht und vermittelt. Hier wie wahrscheinlich an jeder Art von Schwelle bleibt man oftmals intuitiv erst einmal stehen. Man stellt dann zwar einen unmittelbaren (optischen) Bezug zu dem folgenden Raum her, etwas scheint aber ein Innehalten zu fordern, ehe man weiter tritt und somit den Raum wechselt. Die Schwelle ist also Symbol und gleichzeitig Mittler des Übergangs.
Die Bedeutung dieses Übergangs aus Schwelle und Tür ist noch stärker sogar im südländischen Raum: Dort erweitern die Menschen ihren Lebensraum stark nach draußen, ein großer Teil ihres Lebens spielt sich vor dem Haus ab. Treffpunkt für Kommunikation ist die Straße. Umgekehrt bedeutet dies aber auch: Wer hier in das Haus hinein gebeten wird, tritt schon tief in den Lebensbereich des Bewohners ein. Man kann sich dann sogar des Schutzes des Hausbewohners sicher sein. Die Tür und die Schwelle manifestieren diese zwischenmenschliche Beziehung somit durch ihren verbindenden sowie gleichzeitig trennenden Charakter.
Zum Thema: Blogparade #Raumgefühl: Architektur denken von Stadtsatz.
10. September 2013 13:43
Wir haben selbst ein historisches Gebäude (alter Bauernhof – umgebaut zu einem kleinen Wellnesshotel), welches die eine oder andere Türen- bzw. Schwellengeschichte zu erzählen hätte. Der Artikel hat einen hohen stilistischen Anspruch. Ich kann nur sagen ein echter Lesegenuss für Architekturfans.
lg manfred aus der Steiermark