RAUMBEGRENZEND UND -FORMEND – DIE WAND
Veröffentlicht: 25. September 2012
Farben wie auch Wandmalereien bestimmen das Aussehen einer Wand und wirken ihrerseits auf die Wahrnehmung des Raums zurück. Dessen grundsätzlicher Charakter jedoch wird zunächst durch die bloße Wand gebildet, denn diese trennt und formt das für den Menschen Begehbare.
Wände sind – das ist eine simple, aber augenscheinliche Tatsache – aufrecht stehende Körper, die Räume begrenzen und gleichzeitig unterteilen. Diese vermeintlich klare Trennung verschiedener Bereiche und Räume ist tatsächlich aber nicht immer eindeutig. So kann auch die Wand selbst Hohl- und Freiräume in sich bergen, wodurch sie in der Gesamtheit selbst zum gebäudeähnlichen Körper mutiert. In der barocken Architektur zum Beispiel ist der Innenraum oftmals nicht mehr über die äußere Form des Baukörpers ablesbar. Die im Inneren stattfindende Zergliederung des ursprünglich klar umfassten Raumes, der in der Renaissance noch aus der Zentralperspektive heraus entwickelt wurde, erfährt in der Gebäudekubatur hierbei keine Entsprechung mehr.
Ein Beispiel hierfür ist die Basilika „Vierzehnheiligen“ bei Bad Staffelstein von Balthasar Neumann, wo die im Inneren erzeugten Raumverflechtungen ihre Grenze an den Außenwänden der Kirche finden. Der Kircheninnenraum, der durch sich räumlich durchdringenden Ellipsen geformt wird, erzeugt eine Situation, in der sich der Betrachter stellenweise sowohl durch einen Ovalraum gefasst fühlt, sich aber auch in der Ost-West-Achse des Hauptschiffs befindet, die letztendlich Teil der gesamten Innenraumkomposition ist. Er steht hier sprichwörtlich zwischen zwei räumlichen Bezugssystemen und kann sich nicht eindeutig dem einen oder anderen zuordnen. Damit ist die Raumsituation nicht mehr eindeutig rational fassbar.
Um den Innenraum entsteht eine Mantelzone, die als Leib des inneren Baukörpers einen Zwischenbereich bildet, der durch unterschiedliche Modellierung zwischen dem aufgelösten Innen und dem klaren Außen vermittelt. So entsteht in der Mantelzone eine Ansammlung einzelner Raumtaschen der zweiten Ordnung, die Nutzungen untergeordneter Zwecke dienen. Der Leib des Baukörpers seinerseits erhält in seiner räumlich vermittelnden Position ein unterschiedliches inneres und äußeres Relief. Dieses räumliche Wechselspiel der persönlichen physischen Zuordnung verschiedener, gleichzeitig wahrgenommener Raumsysteme ist durch Colin Rowe und Robert Slutzky als Begriff der „Transparenz“ in deren gleichnamigen Buch eingeführt worden.
In der Moderne Anfang/Mitte des 20. Jahrhunderts verliert sich dann diese körperlich räumliche Plastizität der Mantelzone. Die Aufgabe der Wand als kräfteabtragendes Bauelement verliert durch neue konstruktive Technologien (Stahlskelett-Bauweise) ihre Notwendigkeit. Die zuvor durch bloßes Weglassen von Masse in der Hülle erzeugten Übergänge verändern ihren Charakter. Nun wurde es möglich, die Mantelzone des Baukörpers auf eine dünne, klimatische Membran zu verjüngen. Jedoch ging damit auch der Reiz der Übergänge, der „Zonen des Zwiefels“, der gestaffelten Übergänge, Vorräume und Plätze verloren. Die Ästhetik der Moderne gründete auf der Abwesenheit von Tiefe – weiße, verputzte Wände als unkörperliche Scheiben galten der Reinheit und Abstraktion und nicht zuletzt der Reduktion auf ein notwendiges, aber praktisches Maß.
Dafür aber entstand jetzt die Idee des Hauses als Raumeinheit. Räume sind hier nicht mehr die ummauerten Bereiche mit festgelegten Nutzungen und mit einer (Haupt-)Tür zum Korridor, dem Verteilungsraum, sondern Zonen, die durch flächige Elemente gebildet und charakterisiert werden. Als ideales Beispiel und vielleicht auch Höhepunkt in der Entwicklung dieser Raumauffassung ist der Barcelona Pavillon von Mies van der Rohe aus dem Jahr 1929 zu sehen. Besitzt die Wand bei Mies van der Rohe in einem Entwurf für ein Landhaus aus dem Jahr 1923 noch tragende Funktion, ist diese beim Barcelona Pavillon gänzlich aufgelöst. Mehr noch: Die Unbestimmtheit der einzelnen Raumzonen ist hier nicht nur im Inneren allgegenwärtig, sondern dehnt sich durch das Weiterlaufen der Mauern über die eigentlichen Gebäudegrenzen aus und verwischt so die Grenze zwischen innen und außen fast vollständig. Nur noch schwer lässt sich sagen, welche Teile tatsächlich umbaut und welche offen sind. Das Gebäude selbst entsteht durch eine Verdichtung der ebenen Flächenelemente, die durch ihre Anordnung zueinander eine Matrix verschiedener und verbundener Zonen aufspannen – und die in loser Reihenfolge begangen werden kann.
Zum Thema: Blogparade #Raumgefühl: Architektur denken von Stadtsatz.
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