IN DER MITTE VON BEIDEM – DAZWISCHEN

Veröffentlicht: 27. Juni 2012

Architektur, so meint man, ist eine klare Sache: Die Wand begrenzt den Raum und erzeugt ein Draußen und ein Drinnen. Dazwischen kann es nichts geben! Denkt man, und vergisst dabei, dass die Architektur oft eben von diesem Effekt des Dazwischens, des räumlich Zwiespältigen und des Zweideutigen lebt.

Was kann also das Dazwischen sein, wo und wann tritt es in Erscheinung und wodurch wird es erzeugt?

Das Herkunftswörterbuch gibt einen ersten Hinweis. Dort ist zu finden: „In der Mitte von beidem, innerhalb von Zweifachem.“ Es sind also mindestens zwei Dinge nötig, damit ein Dazwischen entstehen kann. Auch kann man sprichwörtlich zwischen zwei Stühlen sitzen, was außerdem darauf hinweist, dass in einem Dazwischen auch eine Unentschlossenheit verborgen sein kann, eine Uneindeutigkeit, ein ambivalenter Zustand. Selbst dieser Text weißt eine Zwischenhaftigkeit aus: Es ist der (willkürliche) Abstand zwischen zwei Wörtern, der die Buchstabenfolge in sinnvolle Einheiten trennt – und in der Folge selbst nicht mehr ist.

Das Nichtwort
ausgespannt
zwischen
Wort und Wort

(Hilde Domin)

Und in der Architektur? Wir alle kennen diese eigentümlich dazwischen liegenden Räume und Zonen. Die Passage beispielsweise erscheint als gedehnter Übergangsraum des Eingangs eines Ladengeschäfts, der zur Straße greift und gleichzeitig Versammlungsort für die freudigen Passanten ist. Die Passage ist die nicht zugeordnete Zone zwischen draußen und drinnen, zwischen Freiheit und Konsum, die den Augenblick des Eintritts retardierend verzögert und die Vorfreude schürt.

Das Souterrain liegt im Bereich zwischen sichtbarer und unsichtbarer Architektur. In seiner Position zwischen oben und unten erhält es im vertikalen Raumgefüge einen eigenständigen Charakter. Es ist die Grauzone, die weder oberhalb noch unterhalb ist, weder drunter noch drüber.

Das Dazwischen trennt also, gleichzeitig verbindet es aber auch. Es entsteht ein wechselhaftes Spiel, das keine Eindeutigkeiten zulässt. Die abstrakte Gedankenfigur der Gebäudehülle indes umschließt das Innere und grenzt das außerhalb Liegende ab, ähnlich einem Ei, dessen Schale die Wachstumsvorgänge im Inneren verbirgt. Die Funktion der Gebäudehülle ist zunächst der Schutz des Inneren vor äußeren Einflüssen, also vor klimatischen Erscheinungen sowie vor Eingriffen in die private Sphäre (Sicherheit, körperliche Unversehrtheit).

Diese schützende Hülle wird jedoch durch die dennoch notwendigen Austauschvorgänge perforiert. Es entstehen Löcher, die das Innen mit dem Außen offensichtlich verbinden. Türen, Fenster, auch Balkone, Loggien und Arkaden verformen die Hülle und erzeugen zweideutige Raumbeziehungen. Es sind Zonen einer verstärkten Aktivität. Bewusste Ausformungen dieser Übergangszonen steuern das natürliche Verhalten des Betrachters: Eingänge weichen zurück, um eine Zone für ankommenden Leib zu schaffen. Eine Treppe mit begleitendem Säulenportal fordert den Besucher zum bedächtigen und zurückhaltenden Eintritt auf.

Architektur fordert an solchen Übergängen heraus, eröffnet oder unterdrückt Sicht- und Bewegungsmöglichkeiten. Hier fließt das Davor und das Dahinter ineinander. Hier nimmt man intuitiv die Einheit des Ganzen wahr. Solche Bereiche haben Vermittlerfunktion. Zwischen dem Hier und dem Dort.

 

Zum Thema: Blogparade #Raumgefühl: Architektur denken von Stadtsatz.

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