DER MENSCH UND DER ARCHITEKT
Veröffentlicht: 10. April 2012
Es gibt Fragen im Leben, die sind so unbewusst wie schleierhaft. Da wäre zum Beispiel die Frage nach dem richtigen Bettzeug für die Neujahrsnacht oder dem richtigen Salz in der Suppe oder die Frage, ob nun Butter unter die Nutella gehört oder nicht. Sekt oder Selters vielleicht? Egal, auch diese Frage ist eine sinnfreie unserer Zeit, denn Wasser sollte immer parat stehen und demgegenüber macht Alkohol nur in Maßen Spaß.
Doch es gibt auch so unbewusste wie interessante Fragen. Zum Beispiel: Warum fühlen wir uns, wie wir uns fühlen, wenn wir uns in einem Raum aufhalten? Warum versprüht ein altes Fachwerkhaus trotz geringer Deckenhöhe diesen Wohlfühl-Charme, warum ist im Gegensatz dazu mancher Neubau trotz neuester Technik oftmals ohne Leben und ohne Geist, warum zieht uns der Raum einer gotischen Kathedrale in ihren Bann, oder warum löst ein Keller bei manchem unwillkürlich schreckliche Angstgefühle aus?
Das alles hat viel zu tun mit der Beziehung des Mensch zu seiner (gebauten) Umwelt, mit den verwendeten Materialien, mit der Raumdimension, mit dem räumlichen Kontinuum in einem Gebäude, mit dem Licht (dem künstlichen und natürlichen), mit den Farben, mit den Fenstern, Türen, Schwellen und deren Position und Anordnung, mit der Form und der Gestalt, und so weiter und so fort. Der Architekt, so sagt man, lernt das alles in seinem Studium. Doch lernt er auch die Wirkung seines Tuns auf den Menschen?
Menschen formen Räume, die ihrerseits den Menschen wieder formen. Wer könnte schon ernsthaft behaupten, er wäre nicht von den frühen räumlichen Erfahrungen seines Elternhauses geprägt worden? Das sind tiefgreifende Raum-Erfahrungen, die bereits in frühen Lebensjahren gemacht werden und die man wahrscheinlich nie so ganz los wird. Die emotionale Seele schließt sich angeblich mit sechs Jahren – die rämliche auch?
Wir wollen dem Menschen nicht vorwerfen, er wäre nicht lernfähig. Die großen Unterschiede in der Qualität von Gebäuden lässt sich sicherlich anders begründen. Denn ein Bauwerk ist heutzutage und schon lange kein reines Architektenprojekt mehr. Im Gegenteil: Der Architekt wird oft zum Schöngeist degradiert, der zwar die Idee für einen Entwurf beisteuern darf, sich ansonsten aber im Hintergrund zu halten hat. Wo sind die Universalisten, wo die Alleskönner, die dafür sorgen, dass ein Entwurf seine Idee von der ersten Skizze bis zur Schlüsselübergabe behält? Nicht selten erleben wir, dass Wettbewergsentwurf und Bauwerk nicht dieselben sind. Was kann also in der Zwischenzeit passiert sein? Waren es die Bauherren, die Bauunternehmen, die Investoren, die Statiker, das Volk oder gar die Architekten selbst, die einem Entwuf seiner Idee beraubt haben?
Der Mensch, der ein Gebäude nutzt, merkt das (wenn auch nur allermeistens unbewusst)! Überlegen Sie mal: Welches Bauwerk hat Sie in letzter Zeit nachhaltig beeindruckt? … Ihnen wird auffallen, dass Sie jetzt nicht an den neuen Büroturm im Stadtzentrum denken, nicht wahr? Liebe Architekten, lasst euch nicht entmutigen! Steht für eure Ideen gerade und lasst euch nicht an der Nase herumführen von Fadenscheinigen Argumenten. Eine Entwurfsidee muss eine gebaute Realität werden, weil alles andere ein fauler Kompromiss wäre. Aber: Macht eure Arbeit gut! Denn eure Verantwortung für den Menschen und seine Raum-Erfahrung ist eine der größten, die eine Berufsgruppe haben kann.
11. April 2012 11:24
Reicht es, die Architekten auf ihre Verantwortung aufmerksam zu machen? Sind die Strukturen nicht heutzutage so, dass ein verantwortungsbewusster Umgang mit dem Raum kaum mehr möglich ist? Viele junge Büros kämpfen ums Überleben, und viele ältere haben vor allem deshalb Erfolg, weil sie sich mit den Forderungen, die z.B. die Wohnungsbaugesellschaften an sie stellen, arrangiert haben. Viel Spielraum für neue, anregende Räume ist da nicht. Auch die Wettbewerbe für neue Wohnbauten gewinnen – zumindest in Deutschland – in der Regel die üblichen Verdächtigen mit harmlosen Entwürfen. Was den Büroturm im Stadtzentrum angeht: der Grund, auf dem er steht, wurde wahrscheinlich vom Eigentümer an einen Investor verkauft, der auf minimaler Fläche maximalen Profit erzielen will. Ob der sich von einem Architekten vom Gegenteil überzeugen lassen würde? Oder sehe ich das zu pessimistisch?
18. April 2012 07:50
Der Spielraum für das Entfalten von schöner, nützlicher, ästhetischer und verantwortungsbewusster Architektur ist sicherlich recht klein geworden. Natürlich ist das Wohn- und Arbeiten-Erlebnis in 3,50 m höhen Räumen ein völlig anderes als in den üblichen knappen 250 Zentimetern Höhe. Davon kann jeder ein Lied singen, der es einmal bewusst erfahren durfte.
Aber welcher Architekt will und darf das in seinen Entwürfen vorschlagen und umsetzen?
Die teils absurden Vorgaben von Bauamt, Investor, Ökologie und Ökonomie führen eben zwangsläufig zu jenen „harmlosen Entwürfen“, die uns nicht gerade vom Hocker holen.
Wenn wir also immer weniger auf eine adäquate äussere Hülle hoffen können, bleibt uns wohl nur noch übrig, uns umso mehr auf die „inneren Räume“ zu konzentrieren und sie lebenswert, sinnvoll und nützlich auszugestalten. Nicht, „My home is my castle“, eher „My home is my living hut“.