BUCHVORSTELLUNG: ARCHITEKTUR UND GEOMETRIE

Veröffentlicht: 08. Juni 2012

Der Mensch neigt dazu, die Welt – seine Welt – zu strukturieren, ihr Mechanismen und Gesetzmäßigkeiten zu Grunde zu legen und sie mittels Normen erklärbar zu machen. Dies sowohl beim Leben selbst als auch bei der Kategorisierung und der Systematisierung der Dinge. Welche Wege Architekten in der Vergangenheit dabei gegangen sind, beschreibt Ekkehard Drach in seinem Buch „Architektur und Geometrie – zur Historizität formaler Ordnungssysteme“. Eine (das schon einmal vorweg) empfehlenswerte Lektüre.

„Architektur kann vieles sein.“ Mit diesem kurzen Satz beginnt Ekkehard Drach sein Werk – eine Aussage, die dem Lesenden so und vor allem an dieser Stelle zunächst entweder falsch oder banal erscheint. Dass der Autor dem Leser bereits hier die Quintessenz seines Buchs in den Schoß wirft, merkt der natürlich (noch) nicht. Er ahnt es höchstens: Für die Gestaltung architektonischer Form scheint es den einen, wahrhaftigen Weg vielleicht nicht zu geben – obwohl genau dies von den Gelehrten in der Vergangenheit oft anders gesehen wurde und wird.

Meist begaben sich Architekten auf die Suche nach der einzig gültigen und göttlichen Formel, mit der sich die Welt erklären und wiedergeben ließe. In der Geschichte entstanden so immer neue Ideen dessen, was (architektonische) Form innerhalb geometrischer Operationen und Verhältnisse sei. Dieses Unterfangen gründete mal auf den Göttern, mal auf der Mathematik, auf dem Menschen oder auch auf der Architektur selbst. Ekkehard Drach zeichnet auf, wie die Menschen großen Erfindungsreichtum entwickelten und immer neue Wege fanden, sich die formale (und weitergehend: die gesamte) Welt zu erklären. Dabei geht er chronologisch vor und beginnt bei Vitruv (1. Jahrhundert vor Christus), macht einen Sprung hinüber zum Zeitalter der Aufklärung, dann ins 19. Jahrhundert mit dem Beginn der industriellen Revolution, in die Moderne Anfang/Mitte des 20. Jahrhunderts und landet schließlich in der Gegenwart. Ausführlich werden dabei die verschiedenen Systeme wie beispielsweise die quantitative Beurteilung der Architektur von Jean-Nicolas-Louis Durant, der Modulor von Le Corbusier oder die Bauentwurfslehre beziehungsweise die Bauordnungslehre von Ernst Neufert erläutert, in Bezug zueinander gesetzt und kritisch hinterfragt.

Letztendlich ist dies auch der große Mehrwert des Buchs: Ekkehard Drach belässt es nicht bei einer bloßen Aufzählung von Systemen, sondern geht auf deren Zusammenhang mit und Abhängigkeit von anderen Systemen ein. Er zeigt auf, wo Ideen sich gegenseitig befruchten und wo sie sich widersprechen können. Dabei lässt er sich nicht verleiten zu einer subjektiven Meinung oder geschmäcklerischen Beurteilung. Mit akribischer Genauigkeit und authentischer Neugier untersucht er die Strukturierungsversuche wichtiger Protagonisten unterschiedlicher Architekten-Generationen, bis hin zum Ordnungssystem des (noch lebenden!) US-amerikanischen Architekten Peter Eisenman, für den Architektur ein eigenständiges Sprachsystem darstellt. An wichtigen Stellen untermalt er seine Ausführungen mit erläuternden Zeichnungen und Bildern. All das wirkt inspirierend und ist nicht zuletzt deswegen geeignet für jeden gestalterisch Schaffenden: Architekten bzw. Architektur-Studenten, Innenarchitekten, Designer oder Künstler.

Fazit: Ein spannendes, gut geschriebenes und umfangreiches Werk, das dem Begriff von Architektur eine wichtige Vergangenheit gibt. Für die 300 Seiten muss sich der Leser etwas Zeit nehmen, jedoch wird er dafür reichlich belohnt. Unbedingt empfehlenswert!

 

Ekkehard Drach
Architektur und Geometrie
Zur Historizität formaler Ordnungssyteme

Herausgegeben März 2012 vom transcript Verlag, Bielefeld
324 Seiten, zahlreiche S/W-Bilder und -Zeichnungen, Softcover
35,80 €
ISBN 978-3-8376-2002-3

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Autoreninfo:
Ekkehard Drach (Dr.-Ing.) arbeitet am Institut für Architekturtheorie und Baugeschichte der Universität Innsbruck. Seine Forschungsschwerpunkte sind Theorie, Praxis und Geschichte architektonischen Entwerfens.

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